Re: uebers ziel geschossen?
von:
HMJokinen und Christian Kopp
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Datum: 01. Juni 2011 10:04
Vielen Dank, Herr Jovanovic, für Ihren Forumsbeitrag.Â
In Ihrem Beitrag sprechen Sie von einer "Liste der aus [unserer] Sicht zu ändernden Straßennamen" in Hamburg. Eine solche Liste existiert auf unserer Website nicht. Was Sie dort finden, ist eine Liste von "Städten mit kolonialen Straßennamen", die wir der Öffentlichkeit ins Bewußtsein rufen wollen. In Hamburg gibt es sehr viele solcher  Straßen. Es wird von uns nicht vorgeschlagen, diese vielen Straßen umzubenennen. Auch die Umbenennung der in der Hafen-City neu angelegten "Marco-Polo-Terrassen" wird auf unserer Website nicht gefordert.
Wir möchten zu Ihren weiteren Ausführungen und zu der Frage, wie die Kontinentalreisen Marco Polos und seiner Zeitgenossen einzuschätzen sind, folgendes ausführen: Nicht nur ist unter Historikern umstritten, ob Marco Polos Berichte überhaupt echt sind und ob er tatsächlich bis nach China gekommen ist. Die Europäer hatten ohne Zweifel ein  großes Interesse daran, den Handel auf dem Weg nach Asien an sich zu reißen. Viele der nach Marco Polo kommenden europäischen "Weltentdecker" waren in Wirklichkeit Welteroberer, sie fuhren auf waffenstarrenden Schiffen, und ihre durchaus kostspieligen Erkundungsreisen wurden von Königen finanziert mit dem Auftrag,  rare und kostbare Waren mit zu bringen, die dann bald schon als "Kolonialwaren" bezeichnet wurden. Insofern waren die europäischen Akteure auf den Weltmeeren durchaus kolonial interessiert. Diese Welteroberer läuteten das Zeitalter der Sklaverei und des Kolonialismus ein, dessen Folgen bis heute nicht bewältigt sind.Â
Zurecht haben daher der Landesverband der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen, das Eine Welt Netzwerk Hamburg, sowie andere postkolonial Aktive kritisiert, dass in der neuen HafenCity Straßen nach Welteroberern benannt werden (http://www.ewnw-hamburg.de/sites/default/files/PI%20Tamm%2015-06-2005%20.pdf). Sie sehen in diesen Straßenbenennungen ein "Geschichtsbewusstsein von gestern für die Stadt von morgen".Â
Bald werden zudem die neuen Gebäude im "Überseequartier" nach Kolonialwaren benannt. Auf dem Burchardplatz im Kontorhausviertel gibt es einen ganz normalen Wochenmarkt, den das Bezirksamt Mitte neulich in "Kolonialwarenmarkt" getauft hat. Touristen kaufen im neuen "Kolonialwarenladen" um die Ecke in der Deichstraße ein. Auf der Mönckebergstraße eröffnete eine "Compagnie Colonial" ihre Türen. Siehe hierzu: "Hier schlägt das koloniale Herz der 'HafenCity'. Ein Spaziergang durch Hamburgs neuen Stadtteil" http://afrika-hamburg.de/hafencity.htmlÂ
Diese Kolonialnostalgie ist zu kritisieren, aber bezeichnend für eine Stadt, die wie keine andere in Deutschland vom europäischen Kolonialismus profitiert hat und bis heute profitiert.Â
Wir glauben, dass es verantwortungsbewusster und gerechter wäre - gerade im Hafen, von wo aus Hamburg Handelsfahrt betrieb - neue Straßen nach Menschen zu benennen, die Opfer des Kolonialismus wurden oder Widerstand geleistet haben. Dann würde die Stadt endlich anfangen einzulösen, was sie immer von sich behauptet: sie sei eine weltoffene Stadt.Â
HMJokinen, Christian Kopp, freedom roads!